Vom Berghain ins Büro: Wie die S-Bahn meine Party-Nacht rettete
Ist Sonntag der neue Samstag? In Berlin könnte leicht der Eindruck entstehen. Hier wird gefeiert wie nirgendwo sonst auf der Welt.
Einleitung
Die Grenzen zwischen Wochenende und Wochentag verschwimmen feuchtfröhlich wie Sorgen in Berliner Luft. Zieht der Beat magisch auf die Tanzfläche, ist er weit weg, der Büroalltag. Aber was tun, wenn dieser beim Blick auf die Uhr bereits in Kürze wieder beginnt? Keine Panik – unser Durchfeier-Guide gibt fünf Tipps, wie sich das Schlimmste verhindern lässt. Mit Erfolg, wie der Berghain-Praxis-Check zeigt!
1. Durchhalten
Effekt: Nur noch wenige Stunden bis Arbeitsbeginn? Dann lohnt sich die Heimfahrt wohl nicht mehr. Die vielgerühmten „Power-Naps“ zeigen oft nur, wie fertig man wirklich ist. Also Augen auf und durch!
Nebeneffekt: Jetzt lassen sich die Stunden genießen, die sonst nur den härtesten Ravern vorbehalten sind. Auch wenn schon viele aufgegeben haben: Die Energie der Übriggebliebenen reicht für den ganzen Club.
2. Wechselklamotten
Effekt: Zu Nächten mit großen Plänen gehören frische Hose und T-Shirt im Rucksack. Wer einen Hang zum exzessiven Feiern hat, sollte am besten ein komplettes Notfall-Set im Büro deponieren. Der Umfang der Wechselgarderobe richtet sich nach den eigenen Feier-Ambitionen. Wer ohne Rücksicht auf Verluste durchziehen möchte, hat besser auch Schuhe und Unterwäsche am Arbeitsplatz bereit liegen.
Nebeneffekt: Passende Kleidung auch für andere Notfälle: Hat die Currywurst in der Mittagspause Spuren auf dem weißen T-Shirt hinterlassen, reicht ein Griff in die Schreibtischschublade – und der nächste Kundentermin beginnt mit neuer weißer Weste.
3. Zahnbürste. Alternativ Kaugummis.
Effekt: Schweiß, Alkoholfahne, Zigarettenrauch? Feiernde riechen häufig nach einem Potpourri der guten Laune. Also nach allem, was die Nacht schön und den Morgen danach unerträglich macht. Hier helfen eine Ration Mundwasser, Zahnbürste und -pasta sowie Deo und Parfüm, die in weiser Voraussicht bereits vor dem Feiermarathon in der Schreibtischschublade liegen.
Nebeneffekt: Dein Atem ist frisch, du duftest perfekt. Falls die Kollegen misstrauisch werden, einfach eine neue Bekanntschaft ins Spiel bringen. Und bei Nachfragen geheimnisvoll schweigen.
4. Erkältung simulieren.
Effekt: Wer durchfeiert, hat am Morgen häufig ähnliche Symptome wie Menschen mit Erkältung. Also warum nicht für einen Tag zum Schauspieler werden. Die Rolle: der eingebildete Kranke. Schal um den Hals, heißen Tee trinken und leidendes Gesicht aufsetzen. Letzteres dürfte bei dem vorhandenen Kater kein größeres Problem sein.
Nebeneffekt: Die Kollegen erkundigen sich am nächsten Morgen nach ihrer Wunderheilung! Jetzt heißt es, kreativ werden bei der Rezeptur deines Zaubertrankes gegen die Eintageskrankheit.
5. Früher da sein.
Effekt: Alle guten Tipps nützen wenig, wenn man mit Wechselklamotten in der Hand verspätet ins Meeting stolpert. Lieber eine halbe Stunde vor dem motiviertesten Mitarbeiter ins Büro kommen und alles vorbereiten. Beim ersten Kollegen-Kontakt sofort Kopfhörer ins Ohr und angestrengt auf die Tastatur hämmern.
Nebeneffekt: Gestresst wirkende Menschen werden nicht nur ungern angesprochen, nein, wer früh anfängt, darf auch früh gehen. Wäre sonst ja noch schöner. Perfekt so ein vorgezogener Feierabend nach einer Partynacht.
Der Praxis-Check
Aber Tipps, die nicht getestet werden, sind wertlos – sagte mein Chef. Und: Man müsste das mit dem Durchfeiern einfach mal ausprobieren! Ja, ja, schon gut, ich mach es!
Also Tanzschuhe geschnürt und vergeblich die Kumpels abtelefoniert: Alle noch fertig von Samstag – oder direkt Montagmorgen ein ganz wichtiges Meeting. Die einzige Verabredung versetzt mich am Alex. Der Plan steht trotzdem, Berghain-Premiere! Also mäßig gutes Pils am Späti getrunken und ab zur S-Bahn.
S3, S5, S7? Egal, alle bringen mich in drei Minuten zum Ostbahnhof. Noch ein paar Minuten Fußweg durch eine leere Gasse und dann steh ich davor: Das Berghain! Der Techno-Tempel. Für viele das Nonplusultra des Durchfeierns. „Sonntag soll ein guter Tag sein“, sagten sie. „Da musst du kaum anstehen“, sagten sie. Pustekuchen, 50-Meter-Schlange und eine geschlagene Stunde Wartezeit zwischen mir und der härtesten Club-Tür der Welt. Es ist 18:30 Uhr. Jetzt wird es spannend, der Blutdruck steigt ins Ungesunde. Ich tue cool. Trotzdem: Ein kurzes Kopfschütteln und die Pläne der Nacht zerbröseln vor meinen Augen. Was war der Fehler? Doch eine Spur zu cool?
Bevor ich das Ganze persönlich nehme, muss schnell eine Club-Alternative her – irgendwas, wo ich vom Bahnhof Warschauer Straße hinkomme. Zum „about blank“ ist es nur eine Station mit der S75. Aber läuft da heute überhaupt was? Lieber auf Nummer sicher und ins „Sisyphos“, war ja letzte Woche auch toll! Ein Blick auf die S-Bahn-App: Die S3 bringt mich in nur drei Minuten nach Rummelsburg. Von dort laufe ich zum Club am Rummelsburger See bei den Hausbooten entlang. Wäre doch was, so ein Hausboot. Wie die Toiletten da wohl funktionieren? Schon da – und zwar alleine. Keine Schlange um 20.03 Uhr. „Hallo. 15 Euro. Viel Spaß“. So stell ich mir das vor! Innen dann gar nicht allein – rappelvoll, kunterbunt.
Kurz zur Garderobe, dann Bar, dann Tanzfläche. Hier dreht der DJ gerade den Bass raus. Als regelmäßiger Club-Gast weiß ich: Nur für acht Takte, es ist immer nur für acht Takte. Alter DJ-Trick. Ich zähle in Gedanken mit und lechze schon bei fünf wieder nach dem dröhnenden Lärm in meinen Ohren. Sechs. Sieben. Komm schon! Endlich acht. Lautstärkepegel, Hände, Serotonin-Spiegel: Alles geht nach oben. Mein Gedanken rauschen auf einem verspielten Synthesizer-Sound in den Äther. Wie schön. Platz für Musik, für Tanz, für den Moment. Dann: Ganz plötzlich, der Moment ist vorbei und die Uhr zeigt schon sieben Uhr. Wie konnte das passieren? Zu Fuß nach Rummelsburg, mit der S3 zum Ostkreuz und von dort mit der Ringbahn zur Schönhauser Allee. Nur noch ein kurzer Fußweg, dann steh ich im leeren Büro. Ich ziehe mich um, putze Zähne und setze mich mit einer dampfenden Tasse Tee an meinen Schreibtisch. Wie haben meine Beine das nur überlebt? Der Chef kommt, die Kollegen trudeln ein – und merken nichts: Jackpot! Allerdings meldet sich schneller als gedacht die Müdigkeit. Nach zwei unproduktiven Stunden verabschiede ich mich mit Kopfschmerzen – vielleicht auch eine nahende Erkältung – und schlafe mich aus. Am nächsten Morgen ist die Erkältung weg. Die Kollegen erkundigen sich nach dem Wundermittel. Ähm…! Ich denke schon an einen neuen Versuch: Mehr Kaffee? Oder vielleicht doch lieber vorher Urlaub nehmen? Zuerst muss ich jetzt aber wohl einen Guide schreiben, wie ich ins Berghain komme. Weil die, die es schon gibt, funktionieren nicht. Das habe ich selbst getestet.