Ausbildung

Talentschmiede für Neustarter

2016 rief die S-Bahn Berlin das Programm Chance plus für Geflüchtete ins Leben. Und wurde zum Vorbild für viele Töchter der Deutschen Bahn. Michael Hallmann, Nachwuchskräfte-Gesamtkoordinator, hat die Berufsqualifizierung begleitet.

Michael Hallmann kooridiniert die Ausbildung bei der S-Bahn Berlin
Michael Hallmann kooridiniert die Ausbildung bei der S-Bahn Berlin

Herr Hallmann, was war die Initialzündung für Chance plus in Berlin?

Im Sommer 2015 hatten wir die Situation, dass die Grenzen für Geflüchtete geöffnet wurden. Auch in Berlin waren die Ankommenden in Notunterkünften untergebracht. Die Jugendlichen saßen in beengten Verhältnissen, ohne Schulplatz, ohne Perspektive. Das waren chaotische Zustände damals. Wir bei der S-Bahn haben dann überlegt: Wie können wir unterstützen?

Und dann haben Sie Chance plus gegründet?

Nicht ganz. Das Programm gab es da ja schon seit 15 Jahren bei der DB. Nur richtete es sich nicht speziell an geflüchtete Jugendliche, denen wir bei der S-Bahn Berlin in irgendeiner Form Ausbildungsplätze anbieten wollten. Uns war schnell klar: Wir können sie nicht direkt in eine Berufsausbildung übernehmen, da ihnen Voraussetzungen wie Deutschkenntnisse oder Schulabschluss fehlen. Aber wir können Chance Plus nutzen und ein Programm für Geflüchtete daraus machen. Das haben wir dann entwickelt.

Was ist die Idee hinter Chance plus?

Ursprünglich wurde die Berufsqualifizierung ins Leben gerufen für sozial Benachteiligte zwischen 15 und 25 Jahren. Und für Jugendliche, die aufgrund ihrer nicht so guten Zeugnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Ausbildungsplatz bekommen: Oftmals haben sie Probleme mit der Theorie, aber Talent für die Praxis. Ihnen bietet das Programm die Möglichkeit, sich auf eine Ausbildung vorzubereiten und ins Berufsleben einzusteigen. Diese Chance wollten wir geflüchteten Jugendlichen ebenfalls bieten.

Bei den Geflüchteten kamen sicher auch sprachliche Hürden dazu.

Genau. Wir haben Chance plus um einen Deutschkurs erweitert. Vor allem in den Anfangsjahren des Programms waren die Jugendlichen noch nicht in Begrüßungsklassen untergebracht, die sprachlichen Hürden waren am größten. Zukunft plus, unser Ausbildungsträger, hat dann Kontakt zu Sprachschulen aufgenommen, in denen die geflüchteten Jugendlichen fast die Hälfte ihrer Ausbildungszeit verbracht haben.

Und die andere Hälfte der Ausbildungszeit?

War ein Wechsel zwischen Theorie und Praxis: Chance-plus-Teilnehmer bei der S-Bahn Berlin haben zwei Tage pro Woche Unterricht in Deutsch, Mathematik, Englisch, Wirtschafts- und Sozialkunde. Drei Tage in der Woche erlernen die Jugendlichen in einer Ausbildungswerkstatt die Grundlagen des Berufsfeldes. Wer zum Beispiel Industrieelektriker werden will, erfährt, wie man Leitungen verlegt oder mit Werkzeugen richtig umgeht. Nach dieser Grundausbildung werden die Jugendlichen in Bereiche der Fahrzeuginstandhaltung integriert, wo später auch ihre Berufsausbildung stattfindet.

Wenn alles gut läuft.

Das tut es in der Regel. Die meisten nutzen ihre Chance, sie sind sehr motiviert. Und wenn ein Jugendlicher mal Schwierigkeiten hat, zum Beispiel im Elternhaus, mit behördlichen Anträgen oder beim Lernen, helfen Sozialpädagogen weiter. Auch die Fachkoordinatoren bei der S-Bahn kümmern sich um alle Probleme während der Ausbildung. Dass unser Konzept aufgeht, zeigen die Zahlen: Fast 80 Prozent aller Chance-plus-Teilnehmer bei der DB bekommen ein Angebot, in die Berufsausbildung einzusteigen.

Wie sieht es bei den Geflüchteten aus?

Bei der S-Bahn Berlin haben insgesamt 18 Geflüchtete an Chance plus teilgenommen, zehn von ihnen haben eine Ausbildung bei uns abgeschlossen oder durchlaufen sie noch. Und ab September starten wieder drei Geflüchtete – gemeinsam mit drei deutschen Jugendlichen. Seit zwei Jahren gibt es bei uns nämlich keine reinen Klassen für Geflüchtete mehr. Damit die Integration und das Überwinden von Sprachbarrieren noch besser funktionieren.

Wenn Sie zurückdenken: Was ist heute anders als vor vier Jahren?

Heute kommen die Jugendlichen in Begrüßungsklassen, gehen zur Schule und bringen nach ihrem Abschluss gute Voraussetzungen mit für den Berufseinstieg. Die Geflüchteten, die damals auf keiner deutschen Schule waren, hatten wesentlich größere Probleme, sich in ein Unternehmen zu integrieren – zu lernen, dass es feste Arbeitszeiten gibt oder dass man Gebete auf die Abend- oder Nachmittagsstunden verschieben muss. Außerdem haben unsere ersten Teilnehmer nicht verstanden, dass man in Deutschland erst mal drei Jahre eine Ausbildung machen muss – anders als in ihren Herkunftsländern.

Wie geht es weiter mit Chance plus in Berlin?

Wir wollen das Programm fortsetzen und jährlich weiterhin sechs Plätze anbieten. Denn unser Ziel ist es, jedem der Teilnehmer auch einen Ausbildungsplatz anzubieten, wenn er die Voraussetzungen erfüllt. Mehr Kapazitäten haben wir derzeit nicht, um dieses Angebot ausweiten zu können.

Mehr über Chance plus und die Ausbildungsberufe bei der Deutschen Bahn

Ihr wollt wissen, wie Muhammad Afzal aus Pakistan Chance plus für seinen Karrierestart bei der S-Bahn Berlin genutzt hat? Dann lest hier weiter.

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