Happy Birthday, Berliner Stadtbahn!
731 gemauerte Bögen: Ein Berliner Wahrzeichen feiert 140. Geburtstag.
Der Berliner Schienenverkehr ohne Stadtbahnviadukt – einfach unvorstellbar, oder? 140 Jahre alt ist das monumentale und unübersehbare Bauwerk quer durch die Mitte Berlins, das wohl alle Berliner:innen kennen und von dem aus viele touristische Erkundungen in der Hauptstadt starten.
Mit der Eröffnung dieser Verkehrsschlagader boomte der Nahverkehr auf der Schiene, denn sie brachte kürzere Wege durch die Stadt und ergänzte das vorhandene System ideal. Die neue Trasse verband die schon in Betrieb befindliche Ringbahn und einige der wichtigsten Fernbahnhöfe, die allesamt ungünstig weit vom Zentrum entfernt lagen. Von der Hauptstadtpresse bestens dokumentiert rollten die ersten Züge mit Fahrgästen von Ost nach West durch Berlin.
Wettstreit um die erste Fahrkarte
Nachdem bereits am Tag zuvor der Kaiser „sich die Ehre“ gegeben hatte, fuhr am Dienstag den 7. Februar 1882 um „Präcise 5 Uhr“ morgens, der erste Zug nach regulärem Fahrplan vom Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) über das neue Viadukt nach Westend: „Nur ein kleines, dafür aber umso animirteres Häuflein“ fand sich für diese Fahrt ein, wie das "Berliner Tageblatt“ am nächsten Tag berichtete.
„Als mit dem Glockenschlage ½5Uhr Fräulein Minna Neumann, eine sehr anmuthige junge Dame, den Schalter und damit [...] die eigentliche Geschäftsthätigkeit der Stadtbahn eröffnete, entstand ein kleiner, natürlich mit der höchsten Urgemütlhlichkeit sich abwickelnder Wettstreit. Ein jeder wollte für sich die Ehre erobern, der Stadtbahn das Handgeld zahlen zu dürfen.“
Auch wenn es an einem dunklen Dienstagmorgen im Februar nur ein „kleines Häuflein“ war, das sich zur ersten Fahrt einfand, so konnte die „Illustrirte Zeitung“ doch schon zwei Wochen später berichten, „daß die Bahn am ersten Sonntag nach ihrer Eröffnung 67.000 Fahrgäste beförderte.“ Die Zeichen waren gesetzt, schon im ersten Jahr gab es im Berufsverkehr einen 10-Minutentakt und in den folgenden Jahrzehnten galoppierte die Nachfrage dem Angebot des Öfteren davon.
Kurze Bauzeit und viel Muskelkraft
Baubeginn war im Jahr 1875. Sieben Jahre Bauzeit scheinen, nach unseren Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, eine unvorstellbar kurze Bauzeit für ein so monumentales Bauwerk, vor allem wenn man bedenkt, dass kaum schwere Baumaschinen zum Einsatz kamen. Stattdessen aber wurde viel Muskelkraft benötigt, und die nicht nur für die ca. 150 Millionen Ziegelsteine, die in 731 gemauerten Bögen und neun Bahnhöfen kunstvoll verarbeitet wurden, sondern auch für vieles mehr.
Die Erdarbeiten allein schon waren gewaltig: Zwischen Jannowitzbrücke und dem Bahnhof „Börse“ (heute Hackescher Markt) folgt das Viadukt dem Verlauf des ehemaligen (nordöstlichen) Festungsgrabens, der an dieser Stelle Königsgraben hieß. Er musste für den Bau der Bahntrasse zugeschüttet werden.
Die Kosten des Baus beliefen sich auf 68.128.699 Mark und 22 Pfennige, was etwa einer Milliarde Euro entspricht. Auch das scheint in Anbetracht der Kosten heutiger Bauprojekte geradezu wie ein Schnäppchen – allerdings lassen sich die Zeiten schwer vergleichen.
Techniksprünge, Kriegsschäden und Sanierungen
Mit steigender Belastung und zunehmendem Verschleiß wurden Viadukt und Bahnhöfe im 20. Jahrhundert immer wieder saniert und leistungsfähiger gemacht. Die ursprüngliche Wellblechabdeckung der Bahnhofsdächer hielt dem Ruß und Dampf aus den koksbefeuerten Lokomotiven nicht stand, sie wurde ausgetauscht.
Ein entscheidender Techniksprung sorgte dann bald dafür, dass die Rauchbelastung erheblich gesenkt werden konnte: die große „Elektrisierung“. Ab 1928 fuhren gleichstrombetriebene Triebwagenzüge über die Stadtbahn und lösten die alten schnaufenden Dampfrösser nach und nach ab. Im Vorfeld wurde das Viadukt baulich verstärkt und mit der entsprechenden Stromversorgung ausgestattet.
Über die schweren Kriegsschäden des 2. Weltkrieges stand 1950 in der Zeitschrift „Elektrische Bahnen“: „Kaum faßbar war aber das Ergebnis, das die Erhebungen der folgenden Wochen brachte. Der Schaden war schlechthin total. Er traf alle Anlagen: Bahnbetriebswerke, Wagenpark, Unterwerke, 30 kV- und 6 kV-Kabelnetz und die Stromschienen. Außerdem war der Oberbau der Strecken an unzähligen Stellen zerstört“. Eine historische Beschreibung der Situation der Berliner S-Bahn nach dem Krieg, die wohl auch für die Stadtbahn galt.
Geteilter Verkehr in der Mauerstadt
Mit dem Bau der Berliner Mauer verlor die Stadtbahn an Bedeutung. Der Fernbahnverkehr auf dem Stadtbahnviadukt kam fast zum Erliegen. Es fuhren nur einige „Interzonenzüge“ ab Friedrichstraße nach Westdeutschland. Der Fernverkehr für die DDR wurde über den Ostbahnhof abgewickelt und für die Bundesrepublik über den Bahnhof Zoo.
Die schwer bewachte Grenze teilte Berlin und unterbrach auch den durchgehenden S-Bahnverkehr auf der Stadtbahn. Am Bahnhof Friedrichstraße endeten die separaten S-Bahn-Strecken Richtung Westen und Osten. Im Osten erfreute sich die S-Bahn weiter großer Beliebtheit, während sie im Westen der Stadt immer mehr Fahrgäste verlor.
Erwacht aus dem Dornröschenschlaf
Der Mauerfall erweckte das Stadtbahnviadukt dann wieder zu neuem Leben. Mit Begeisterung wurden in Berlin die ersten S-Bahnzüge begrüßt, die am 2. Juli 1990 wieder zwischen Ost und West fuhren. Neue Fernverbindungen entstanden, zwischen 1994 und 1998 wurde die gesamte Stadtbahnstrecke umfassend saniert und für moderne Anforderungen fit gemacht. Als der Hauptbahnhof gebaut wurde, musste die Trasse der Stadtbahn erstmals in ihrer Geschichte versetzt werden.
Heute rollen täglich etwa 900 Züge (600 S-Bahnen sowie 300 Regional- und Fernzüge) über die Strecke – komfortabler, sauberer und leiser denn je. Fahrgäste können gespannt sein auf die Innovationen, die die Zukunft bringt. Das markante Viadukt der „Berliner Stadtbahn“ wird sicher noch lange bleiben.