Angesagt

"Berlin ist eine Stadt der Chancen"

Interview mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin Michael Müller.

Michael Müller - Regierender Bürgermeister von Berlin
Michael Müller (SPD) ist seit 2014 Regierender Bürgermeister von Berlin.

Herr Müller, vor 100 Jahren wurde Berlin durch das Groß-Berlin-Gesetz auf einen Schlag zur drittgrößten Metropole der Welt. Heute wirkt die Stadt im Vergleich zu sogenannten Megacities, wie Tokio, Seoul oder New York schon fast wieder dörflich. Ist die Konkurrenz mit anderen Metropolen heute überhaupt noch wichtig?

Michael Müller: Berlin war damals wie heute eine auf allen Ebenen wachsende Stadt. Die zentrale Herausforderung für die Metropolen der Welt bleibt die gleiche: Das Wachstum der Städte in verträgliche Bahnen zu lenken und zugleich funktionierende und lebenswerte Orte zu schaffen. In Berlin stellen sich ähnliche Fragen wie in Tokio oder New York: Wie sorgen wir für ausreichend bezahlbaren Wohnraum? Wie gelingt die Mobilitätswende? Wie verändert die Digitalisierung unsere Stadt? Die Städte können deshalb viel voneinander lernen. Und Berlin ist auch als Metropole eine Stadt der kurzen Wege und lebendigen Kieze geblieben und damit ein Spiegelbild für die Stadt der Zukunft.


Als Groß-Berlin entstand, musste auch die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut werden. Welche Herausforderungen von damals sehen wir noch heute im ÖPNV?

Michael Müller: Berlin profitiert heute noch von den damaligen wegweisenden Entscheidungen, zum Beispiel dem U-Bahn-Ausbau. Die ÖPNV-Anbindung des gesamten Stadtgebietes war entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung. Mit der Verkehrswende geht es heute um ähnliches: Mobilitätsangebote für die ganze Stadt, klimaverträglich und nachhaltig. Dabei kommt dem ÖPNV eine zentrale Bedeutung zu: Denn ein gut ausgebauter, emissionsarmer und bezahlbarer Nahverkehr ist entscheidend für wirksamen Klimaschutz und ein Mobilitätsangebot für alle. Dafür stellen wir heute schon die Weichen.


Die Stadt wurde in den Zwanzigerjahren zu einem starken industriellen und kulturellen Standort. Vor allem in Sachen Kultur hat sich Berlin seit dem Mauerfall seinen Ruf zurückerobert. Wie sieht es in anderen Bereichen aus?

Michael Müller: Berlin hat sich vor allem zu einer international gefragten Wissenschafts- und Forschungsmetropole entwickelt. Das Miteinander von Startups, traditionellen Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen macht Berlin zum Innovationsmotor mit attraktiven Standortfaktoren. Das sorgt auch für ein Comeback Berlins als Industriestandort: An Zukunftsorten wie der Siemensstadt 2.0 oder der Urban Tech Republic auf dem Gelände des Flughafen Tegels werden Antworten auf die Zukunftsfragen der digitalen Gesellschaft gesucht. Berlin wird deshalb heute wieder mit einer Vision der Stadt von morgen verbunden.


In diesem Jahr feiern wir 100 Jahre Groß-Berlin, 2019 jährte sich der Mauerfall zum 30. Mal. Was fällt Ihnen zum Stichwort „Zusammenwachsen“ in Bezug auf Berlin ein?

Michael Müller: Der Begriff gehört gewissermaßen zur DNA von Berlin. Die Stadt hat das an vielen Stellen ihrer wechselvollen Geschichte bewiesen. Auch in der aktuellen Corona-Krise zeigen die Menschen, was Solidarität und Zusammenhalt bedeuten. Berlin war und ist eine Projektionsfläche für eine Vielfalt der Menschen und Lebensentwürfe und deshalb als Stadt der Freiheit auch ein internationaler Bezugspunkt für Weltoffenheit. Jens Bisky spricht in seiner Berlin-Biografie von einem „Weltaugenblick“, wenn er die Dynamik beschreibt, mit der im Berlin der 1920er neue Impulse entstanden. Das drückt aus, was Berlin wie ich glaube damals wie heute auszeichnet: Berlin ist eine Stadt der Chancen. Eine Stadt, die im beständigen Zusammenwachsen immer Neues entstehen lässt.


Wegen der Corona-Krise fiel der große Festakt zum Jubiläum aus, viele Ausstellungen und Veranstaltungen mussten ihr Programm verlegen oder ganz absagen – wie lautet ihr ganz persönlicher Tipp, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Michael Müller: Es ist sehr bedauerlich, dass vieles von dem was für das Jubiläum geplant war, verschoben werden musste oder nicht stattfinden kann. Aber es gibt zum Glück auch tolle digitale Angebote – beispielweise das Projekt 1000 x Berlin. Insgesamt 1.000 Fotografien aus den Sammlungen der Museen illustrieren die unterschiedlichen Facetten der Stadtgeschichte. Mit dieser Online-Galerie kann man die Umbrüche der Stadt eindrucksvoll nachvollziehen – auch von Zuhause aus. Und bald auch wieder in den vielen Museen und Ausstellungen der Stadt.

Das könnte Sie auch interessieren

Geschichte

Wiedervereinigung auf der Strecke

Der Mauerfall am 9. November 1989 traf auch die geteilte S-Bahn völlig unerwartet. Ein Rückblick auf bewegende Tage.